REZENSION

Mai 2006
Mai 2006
REZENSION

Belletristik

Nicholas Shakespeare: In dieser einen Nacht, Rowohlt Verlag, Hamburg, 536 S., 22,90 Euro

Nach einer Biographie ueber Bruce Chatwin und Selbstfindungen in Tasmanien begibt sich der englische Schriftsteller Nicholas Shakespeare in die deutsch-deutsche Vergangenheit. Oftmals spielen sich im wahren Leben viel abstrusere Geschichten ab, als man sich ausdenken kann. Und doch ist dieser Roman ueber die Wiederholung zweier Lebensschicksale im Osten Deutschlands so aufwuehlend konzipiert, dass man sich nicht eine Sekunde fragt, kann das wirklich so geschehen sein oder ist das eine unglaubwuerdige Konstruktion.

Der Englaender Peter Hithersay ist 16 Jahre, als er erfaehrt, dass sein leiblicher Vater ein politischer, ostdeutscher Gefangener zu dem Zeitpunkt war, als seine Mutter, eine Saengerin, ihn kennenlernte. Peters Mutter begegnet dem Mann, der ebenfalls Peter heisst, waehrend seiner Flucht aus dem Bautzener Knast in nur einer Nacht, 1961. Sie weilte auf einem internationalen Bach-Wettbewerb und traf ihn in der tristen Umgebung Leipzigs. Ob Zufall oder Schicksal - auch Peter wird in Leipzig eine Frau kennenlernen und lieben, mit der er trotz Mauer ueber Jahrzehnte, ohne es zu ahnen, verbunden sein wird. Ob Peters Vater noch lebt, was fuer ein Mensch er war und wie es in der DDR aussieht - all diese Fragen lassen Peter nicht mehr los, wie magisch zieht ihn das Lebensumfeld seines Vaters an. Er erlernt die deutsche Sprache, studiert in Hamburg und schafft es 1983 mit einer Theatertruppe als Beleuchter nach Leipzig, hinter den eisernen Vorhang, zu reisen. Fast kindisch mutet sein Beduerfnis, den Vater waehrend dieses Aufenthaltes auf der Leipziger Messe zu finden, an. Doch anstelle seines Vaters, der zu einem unsichtbaren Helden in Peters Vorstellung geworden ist, begegnet er der 23-jaehrigen Studentin Snowleg, die diesen fremdlaendisch-exotischen Spitznamen nach der Freundin ihres Grossvaters traegt. Alles scheint aufeinander zu treffen. Peter verliebt sich in dieses fuer ihn geheimnisvoll wirkende Maedchen. Doch Snowleg befindet sich selbst in einer beruflichen, wie privaten Krise, denn ihr Bruder Bruno wird aus der DDR ausreisen. Fuer die junge Frau ergeben sich mit diesem Schritt Repressalien, die ihr gesamtes Leben in eine Schieflage bringen koennen. In seiner Verliebtheit glaubt Peter ihr helfen zu koennen, ahnt jedoch nicht, wie nah ihm die Stasi-Schergen bereits sind. Als er, seiner Meinung nach, Snowleg verraet und ohne sie in den Westen abreist, wird ihn dieser Augenblick und die Ungewissheit ueber Snowlegs weiteres Leben lang verfolgen. Peter wird Arzt, vergraebt sich in die Arbeit, kann keine feste Beziehungen eingehen, wird aber Vater und versucht trotz Trennung von der Mutter, sein Bestes fuer den Sohn zu geben. Als die Mauer laengst gefallen ist, macht sich Peter gegen alle inneren Widerstaende wieder auf den Weg nach Leipzig - nun begibt er sich auf die Spuren seines Vater und Snowlegs.

Nicholas Shakespeare hat einen packenden Roman geschrieben, dessen Handlungsfaeden von den 60er Jahren bis in die Gegenwart reichen. Gern folgt man der Geschichte des ruhelosen Protagonisten Peter, dessen Lebenskreise sich trotz Aufloesung des eisernen Vorhangs nicht schliessen sollen. Allerdings sind einige Details zum DDR-Leben nicht gut recherchiert. So gab es 1983 keine Sozialversicherungskarten. DDR-Buerger hatten Versicherungsausweise, in die akribisch alles handschriftlich eingetragen wurde. Auch liefen sie kaum mit Plastikbeuteln ( Plaste hiess es in der DDR.) in die Fabriken, eher mit grausig gemusterten Dederon-Stoffbeuteln. Abartig erscheinen die Praktiken der Stasi und bieten natuerlich eine Fuelle an Stoff fuer Shakespeares Geschichte. Allerdings muss auch gesagt werden, dass bei der Erwaehnung von Christa Wolf im Zusammenhang mit Stasi-Akten, sie die einzige Schriftstellerin ist, die ihre Aktivitaeten nach Bekanntwerden der IM-Taetigkeit oeffentlich gemacht hat. Eine Tatsache, die gern vergessen wird.

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