WINTER 2006

REZENSION

WINTER 2006

REZENSION

Belletristik

Tim Parks: Stille, Antje Kunstmann Verlag, Muenchen 2006, 360 S., 22 Euro

Wie in seinem hochgelobten Roman “Schicksal” steht auch dieses Mal ein erfolgreicher englischer Journalist im Mittelpunkt, der Bilanz zieht. Der 55-jaehrige, fettleibige, bekannte Nachrichtenmann Harold Cleaver zieht sich nach seinem kritischen Interview mit dem Praesidenten der Vereinigten Staaten total aus dem oeffentlichen Leben zurueck. Er flieht geradezu vor seiner Familie, sich selbst, der Oeffentlichkeit und seiner Gier nach den modernen Medien weit fort in die Suedtiroler Berge. Dahin wo es nicht mal Strom gibt, niemand ihn versteht und das einsame Leben im Kampf mit der Natur zur Qual wird. Ein Grund fuer diese voellige Abstinenz von der Popularitaet und Selbstherrlichkeit als Fernsehjournalist ist das anklagende Buch “Im Schatten des Allmaechtigen” seines Sohnes Alex, das sogar fuer den Pulitzer Preis vorgeschlagen ist. Wort fuer Wort scheint Cleaver es auswendig gelernt zu haben, denn jeder weiss, Zielscheibe dieses Buches ist er selbst. Jede Formulierung dreht Cleaver, der voellig desillusioniert ist, wenn es um gesellschaftliche Veraenderungen geht, in seinen assoziativen Spruengen in die Erinnerung um und um. Zum einen, um sich vor sich selbst zu rechtfertigen, zum anderen, um Ereignisse zu rekapitulieren und klarzustellen. Cleaver greift nicht an, schlaegt nicht zurueck, wie es ihm seine jahrelange Lebensgefaehrtin Amanda raet, zerrt seinen Sohn nicht vor Gericht. Er will einfach nur die Klappe halten, der Eitelkeit entfliehen, Stille um sich haben, dem eigenen Zynismus, der Effekthascherei entsagen. Seine Gedanken allerdings arbeiten ununterbrochen. Der innere Monolog ist nicht zu stoppen.

Claever beschliesst auf den Berg zu ziehen. Doch auch in 1800 Meter Hoehe auf dem Rosenkranzhof kann er sein bisheriges Leben nicht abstreifen. Der Winter steht vor der Tuer und der dickleibige, lebensunpraktische Cleaver lehnt jegliche Hilfe der Leute im Dorf ab. Nichts soll ihn ablenken von sich selbst - keine geplante Dokumentation, kein “ Meisterwerk”, das alle von ihm erwarten, keine Absichten irgendetwas zu publizieren. Die Erwartungen der anderen, der Karrierestress, der ewige Familienstreit, die Oberflaechlichkeit, die Anforderungen seiner Geliebten, die klar formulierte Ablehnung des Sohnes - Cleaver will einfach nur Ruhe. Doch er kann seiner inneren Zerrissenheit nicht entfliehen und vor allem nicht, den immer wiederkehrenden Szenen, die sich mit dem Tod Angelas, der Zwillingsschwester von Alex, verbinden. Der einsame Berg legt sie schließlich nur bloß, die Aengste, Sehnsuechte und Aggressionen. Cleaver muss sich Alex und sich selbst stellen.

Anna Enquist: Letzte Reise

Anne Fine: Feuer und Asche

Barbara Honigmann: Ein Kapitel aus meinem Leben

Dara Horn: Die kommende Welt

Leonardo Padura: Adios Hemingway

Linn Ullmann: Ein gesegnetes Kind

Margaret Forster: Ein Zimmer, sechs Frauen und ein Bild

Peter Stamm: An einem Tag wie diesem

Richard Powers: Das Echo der Erinnerung

Tim Parks: Stille

Bilderbuecher

Arthur Geisert: Licht aus!